Wahre Veränderung verlangt radikales Umdenken
Veränderungsprojekte sind in den meisten Unternehmen ein Dauerzustand: ständig wird irgendwo verbessert und optimiert. Doch oft bringen sie weniger als erwartet oder überhaupt keine Verbesserung. Sie verschwenden Ressourcen wie Geld, Zeit und Managementaufmerksamkeit; sie frustrieren Mitarbeiter, die das Gefühl haben, mehr Arbeit aufgehalst zu bekommen, ohne jegliches Resultat vorweisen zu können. Entsprechend gering der Enthusiasmus, wenn gleich die nächste Initiative angekündigt wird.
Warum ist das so und was lässt sich dagegen tun? Der Grund für die enttäuschenden Ergebnisse liegt in vielen Fällen darin, dass an der falschen Stelle verbessert wird und das eigentliche Problem nicht angegangen – oder gar nicht erst identifiziert – wird!
Diese Problematik wird getrieben und verstärkt durch die weitverbreitete Tendenz, auf altbekannte Taktiken zurückzugreifen und diese ganz beliebig auf jede Situation anzuwenden. In einem 2018 erschienen Buch "Stop decorating the Fish" nennen Kristen Cox und Yishai Ashlag diese Taktiken die „verführerischen Sieben“ („Seductive Seven“). Verführerisch, weil es auf den ersten Blick oft total sinnvoll erscheint, eine der Sieben einzusetzen. Sie sind in den meisten Umgebungen jedoch nur mehr von etwas, was schon lange – ohne Erfolg – versucht wird. Das macht sie nochmal verführerischer, denn mehr von etwas Bekanntem zu tun bedeutet auch, sich nicht in unbekannte und daher vermeintlich riskante Gefilde vorwagen zu müssen.
Die von Cox und Ashlag identifizierten Taktiken sind die folgenden: 1. Mehr Geld 2. Mehr Technologie 3. Mehr Reorganisation 4. Mehr Training und Kommunikation 5. Mehr Daten 6. Mehr Verantwortlichkeit und Schuld-Zuweisung 7. Mehr strategische Planung
Sicher kommen Ihnen davon einige – wenn nicht gar die meisten – bekannt vor. Gehen Sie die letzten paar Verbesserungsprojekte in Ihrem Unternehmen durch und versuchen Sie, die angewandten Maßnahmen in die genannten Kategorien einzuordnen. Schnell werden Sie feststellen, sie passen mindestens in eine, wenn nicht gar mehrere davon. Beispiele der am häufigsten verwendeten Taktiken finden Sie im Folgenden.
Mehr Geld
Typisch sind hier: Mehr Leute einstellen oder Überstunden bezahlen, mehr Marketing betreiben, mehr Equipment beschaffen… „mehr Geld“ ist natürlich für so gut wie alle Veränderungsmaßnahmen nötig und findet sich so auch in den meisten der weiteren Punkte wieder.
Mehr Technologie
Hochentwickelte Analyse- und Forecasting-Tools werden erworben, um tiefere Einblicke in tägliche Funktionsweisen zu erhalten. Durch erhöhte Automation sollen Variabilität und menschliches Versagen verringert werden. Zentralisierte Steuerung, Datenübertragung in Echtzeit oder moderne Anlagen sollen die Effizienz erhöhen.
Mehr Reorganisation
Umstrukturierung ist oft eine der „simpelsten“ Maßnahmen, um vermeintliche Probleme zu beheben (oder zumindest zu kaschieren). Mal wird die Produktion dem Vertrieb unterstellt, mal andersrum – je nachdem, wessen Argumente überzeugender klingen. Beliebt sind zudem Zentralisierung für höhere Effizienz oder Dezentralisierung für höhere Kontrolle.
Mehr Training und Kommunikation
Mitarbeiter werden in den neu erworbenen Technologien oder Maschinen geschult. Workshops für Projektmanagement oder Business Management werden angeboten (oder gar vorgeschrieben). Neue Meetings werden eingeführt, in der Hoffnung, dass sie den erwünschten Durchbruch bringen.
Mehr Daten
Oft einhergehend mit mehr Technologie, wird durch die heutzutage erhältliche Menge an Daten die Illusion erhöhter Kontrolle geschaffen. Kennzahlen und Überwachung an allen Ecken und Enden bieten einen vermeintlichen Überblick über alle Vorgänge in der Organisation und somit die gewünschte Transparenz.
Mehr Verantwortlichkeit und Schuldzuweisung
Wenn sonst nichts hilft, fällt man gern darauf zurück, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Einzelne Bereiche beschuldigen den jeweils anderen und es wird gesucht, wer „etwas falsch gemacht“ hat – anstatt proaktiv nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. In Folge davon kommt es dann wiederum oft zur Reorganisation.
Mehr strategische Planung
Neue Strategien werden gerne in ausgiebigen Workshops der Führungsriege ausgearbeitet. Ob Markenpositionierung, Veränderung hin zu erhöhter Effizienz oder Anpassung an etwaige Forecasts – ein Strategieplan zeigt schwarz auf weiß, dass man „etwas unternimmt“.
Selbstverständlich sind diese Vorgehensweisen per se nicht zwangsweise schädlich. Doch sie haben so gut wie keinerlei Wirkung, solange sie nicht das eigentliche Problem in Angriff nehmen, welches das Unternehmen am Erfolg hindert. Alle Daten der Welt können keine Antwort bieten, wenn nicht die richtige Frage gestellt wird. Die bestgeschulten Mitarbeiter werden die Produktivität des Unternehmens nicht erhöhen, wenn das Problem in der Materialbeschaffung liegt. Kein Strategieplan der Welt führt tatsächlich zu Verbesserung, wenn das gesetzte Ziel danebenliegt. Ganz zu schweigen davon, dass gegenseitige Schuldweisungen nie zu irgendwelchen produktiven Lösungen führen und nur die Moral im Unternehmen verschlechtern.
Die Identifizierung des Grundproblems verlangt nach Kooperation und ganzheitlicher Vision – von der Führungsriege bis hin zu den Mitarbeitern aller Bereiche. Anstatt kurzsichtig die „offenliegenden“ (also sichtbaren) Symptome lokal zu behandeln, gilt es, in sorgfältiger und bedachter Analyse der Wechselwirkungen und Zusammenhänge die ihnen zugrunde liegende Ursache zu bestimmen. Die „verführerischen Sieben“ stellen dabei oft ein Hindernis dar, denn sie verschließen die Sicht auf grundlegend neue Lösungswege. Wer in alten Bahnen verharrt, hat wenig Chancen, tatsächlich durchbrechende Lösungen zu finden.
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